HEIL STATT HEILUNG. ALTE UND NEUE VERSPRECHEN DER PROTHETIK

KARIN HARRASSER

Die Prothetik, also der technische Ersatz von Körperteilen, sitzt von jeher unbequem zwischen den Stühlen von Heilung und Normalisierung. Am Pol der medizinischen Argumentation ist sie begründungsbedürftig: Der technische Ersatz von Gliedmaßen ist keine Heilung im klassischen Sinn. Am Pol des gesellschaftlichen Diskurses ist die Prothetik in Normalisierungsstrategien und in biopolitische Kalküle verwickelt: Zum einen dient die Prothese der Unauffälligkeit im Alltag. Zum anderen wird sie von einem Diskurs der Wiederherstellung von Produktivität und Arbeitsfähigkeit begleitet. In der Künstlichkeit der Prothese verkörpert sich jedoch stets auch die Drohung des Versagens von Heilsversprechungen: Der ganze Körper, die ganze Gemeinschaft zeigen sich als hergestellt und artifiziell. In den letzten Jahren hat sich ein weiteres Heilsversprechen hinzugesellt: Von Aktivist/innen wie Aimee Mullins werden Prothesen als Mittel zur Erreichung super-/übermenschlicher Qualitäten propagiert. Demnach sind disabled persons eigentlich superabled, im Sinne ihrer besseren Anschlussfähigkeit an Zukunftstechnologien. Im Leistungssport findet diese Neukonzeption von „Behinderung“ bereits ihren Niederschlag, der für den Fall Oscar Pistorius exemplarisch, aber nicht konklusiv ausjudiziert worden ist. So verständlich solche argumentative Strategien mit Blick auf ältere, häufig paternalistische Strategien der Inklusion sind, sosehr tragen sie zur Hegemonie von Selbstoptimierungsimperativen bei.

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